Rubikon-Trick

Ein Ausschnitt aus dem Kapitel „Am Rubikon“:

»Das heißt«, folgerte sie, »der Unbekannte möchte – irgendwie mit uns als Werkzeug – in die Geschichte eingreifen.«

»Das ist vollendeter Quatsch!«, konterte Anele. »Geschichte ist Geschichte, es gibt kein Zurück!«

Die Ältere gab nicht nach: »Seele und Geist vermodern nicht, Gedanken können erneuert werden.«

»Gedanken ja, Fakten nicht. Bleib auf dem Teppich! Auch wenn Entscheidungen zufällig sein mögen, so sind doch deren Folgen unwiderruflich. Aus verschiedenen Möglichkeiten wird immer genau eine Wirklichkeit. Wenn die Würfel gefallen sind, ist das Ergebnis Realität. Basta! Genau das besagt Caesars Ausspruch am Rubikon: es gibt kein Zurück!«

»Dem widerspreche ich ja nicht. Doch es heißt, der Rubikon-Effekt soll ausgehebelt werden. Also ist der Trick dessen Überwindung«, trumpfte Siri auf. »Denk daran, dass in der Warnung steht, wir seien Steinchen, die er in den Strom werfen will. Die wären mächtiger als Schmetterlingsflügel.

Das ist, wie ich herausgefunden habe, eine Anspielung auf die sogenannte Chaostheorie. Das Bild besagt, dass kleinste Ursachen größte Wirkungen haben können. Letztlich kann ein Sturm von einem Flügelschlag ausgelöst sein.

Die Welt sähe doch ganz anders aus, wenn nicht immer wieder dieser oder jener winzige Zufall die Geschichte bestimmt hätte: Das verlorene Hufeisen, das den Boten zu spät kommen lässt, um die Schlacht zu verhindern, der Mückenstich, der den Eroberer tödlich infiziert, die Störung, die den Diktator vor der Bombe rettet. Immer wieder entscheidet sich Geschichte an einer Winzigkeit.«

»Klar können bedeutende Ergebnisse aus kleinsten Zufällen entstehen. Doch mit keinem Trick und keiner Technik ist Geschehenes ungeschehen zu machen«, schrie Anele schon beinahe.

Das dämpfte den Überschwang ihrer Schwester, die erstaunlich ruhig an eine schon früher angesprochene Erklärung erinnerte: »Für uns natürlich nicht. Wir sind ja nur Fädchen im Netz, die nicht einmal das erkennen. Wenn aber einer das Netzwerk überblicken und hineingreifen kann, dann …«

»Wirft er nicht mit Steinchen und schon gar nicht mit uns. Oder – klar so wird es sein – du bist von einem seiner Steine an deiner Birne getroffen worden! Dadurch kannst du die Zeit aushebeln und …«

»Ja, ich kann es und du auch: Mit dem Tod! Wir haben doch gehört, dass nur bewusstes Leben Gegenwart von Zukunft und Vergangenheit trennt. Ohne dieses Denken gibt es keine Abfolge und keine Geschichte.«

»Okay, okay, okay, sterben wir für die bessere Welt!«, kreischte Anele. »Dann hab ich für immer Ruhe vor all dem Quatsch!«